Mit JACKIE A. würde ich nur zu gern mal durch das Berliner Nachtleben streifen - quasi "Durch die Nacht mit Jackie A. und Sylvia B." Seit ich ihren Roman APPLE ZUM FRÜHSTÜCK erschienen im AUFBAU VERLAG gelesen habe, zieht es mich wieder verstärkt nach Berlin, um endlich mal all die Clubs zu besuchen, in denen ich noch nicht war.
Jackie A. feierte mehrere Jahre lang in fast jedem Berliner Club ihre Ankunft in Westberlin, wohin sie 1989 aus der DDR geflohen war. Sie schlug sich als Türsteherin, Süßwarenverkäuferin, Fotomodell und Gogotänzerin durch, präsentierte die Sendung "Berlin Beat" im SFB, studierte Schauspiel und verfasste als Meerjungfrau Geschichten für radio eins. Seit 2001 schreibt sie für die Berliner Zeitung und das Stadtmagazin Tip.
Apple zum Frühstück. Mein Leben zwischen Disco und Dispo (ich liebe diesen Untertitel!) ist ihr Buchdebüt. Eines, dass uns die Autorin ganz nahe bringt - ANALOG während ihrer Kindheit und Jugend in der DDR und DIGITAL "tourend" durch das Berliner Szeneleben.
"Mein Name ist Jackie A., ich lebe in Berlin und gehöre zu einer aussterbenden Spezies. Geboren und aufgewachsen bin ich in der analogen Zeit, erwachsen und zu Hause im digitalen Jetzt. (...) Twitter ist meine Poesie- und Informationsmaschine. Meine Stammkneipe allerdings ist Facebook. (...) Dieses Buch hier bringt die Welten zusammen. Analoge Tagebuchschnipsel treffen auf Blogs aus dem Netz, alte DDR-Briefe auf den aktuellen Facebook-Satus. Entstanden sind sechs Kapitel, in denen sich die analoge und digitale Welt direkt gegenüberstehen und so einen ungewohnten Blickwinkel eröffnen. Nebenbei ist es auch noch die Geschichte von Jackie A., einer in die Jahre gekommenen Nachtlebenreporterin."
Die Parties von denen Jackie A. erzählt sind legendär, verrucht, langweilig, aufregend, schrecklich, dramatisch, übertrieben, verrückt, großartig. Bei jeder einzelnen will man dabei sein und ist auch irgendwie mit dabei, so echt beschreibt sie die absurdesten Situationen, lernt die "tollsten" Typen kennen und lebt und liebt einfach drauflos! Ihre "echten" Jobversuche sind an Komik nicht zu überbieten, aber auch die unzähligen Teenie-Tagebucheinträge aus ihrem analogen Leben lesen sich sehr unterhaltsam.
Einer meiner Lieblingseinträge ist folgender:
Schlechter Ort: Fashionbloggercafé
Facebook sagt Jogginghosentag und ich mach mit - erster Fehler an diesem Tag. Mit Laptop in ein Café am Rosenthaler Platz setzen - zweiter Fehler. Es kündigt sich schon an der Ampel Ecke Torstrasse an. Ein Windhund in Burberry-Jäckchen schnüffelt an meiner Sporthose. Kraftlos schaut er auf, dünne frierende Kreatur in überteuerter Jacke, ein Modeopfer mit trockener Nase - ja ist denn schon wieder Fashion-Week in Berlin? In düsterer Stimmung betrete ich das Haus am See, ein Internetcafé ohne Wasserzugang, bestelle Latte Macchiato - stattdessen: stiller Protest inmitten von IT-Accessoires-Bestückten. Der sonst recht gemütliche Platz ist jetzt Ort hektischer Betriebsamkeit, ein Bienenstock für jugendliche Informationsvermittlerinnen aus der Modewelt. Die heutige Veranstaltung nennt sich Fashionbloggercafé, und eigentlich könnte ich dankbar sein, dass mein ausgebeulter Jogginghosen-Arsch zufällig in diesem zeitgeistphänomen-verdächtigen und über Facebook promoteten Event landete. Angeregte Gespräche entspinnen sich zwischen Mädchen aus München, Essen und Hamburg. Es sind Kinder aus gutem Haus mit gesunden Haaren und hochwertigen Lederhandtaschen. In Grüppchen stehen sie an der Bar und fotografieren sich gegenseitig in aktueller Markenmode: dunkle Leggings und Westen mit Pelzbesatz - Housemusik mit Saxophonbegleitung läuft im Hintergrund.
"Boah, in einer Stunde muss ich bei der Bread and Butter sein, vorher noch umziehen - das schaff' ich nie!" Sorgenfalten auf der Stirn einer Neunzehnjährigen. Dahinter wird eine Bloggerin beim Interview gefilmt. (...) Wo man hinschaut, gutsituierte Mädchen, die davon träumen mit dem eigenen Modeblog groß rauszukommen und irgendwann wie die berühmten Vorbilder bei den Shows in Paris und Mailand in der ersten Reihe zu sitzen. Man braucht kein Experte zu sein, um zu verstehen, dass es einen adäquaten finanziellen Rahmen braucht fürs Hobby rund um Louis-Vuitton-Bags, It-Pieces- Digitalkamera und Laptop - ein gutsituiertes und wohlmeinendes Elternhaus. Fashionblogging ist ein Oberschichtenphänomen. Das sieht man auch am vorgeführten Kleidungsstil: angepasst, krawallfrei und bieder, stellvertretend für einen Teil der Gesellschaft, der am ehesten in sauberen Jugendzimmern westdeutscher Reihenendhäuser zu finden ist. Aber vielleicht befinde ich mich auch nur auf der falschen Veranstaltung und mein Urteilsvermögen wird vom Stimmungstief "Erna" überschattet. Es gibt ja Ausnahmen, die Kreativen und Mutigen, wahrscheinlich nicht mal wenige - aber brauchen nicht alle die finanziellen Voraussetzungen? Zeigt mir doch mal Blogs von Fashionistas aus Berlin-Hohenschönhausen oder Duisburg-Marxloh, deren Eltern pleite, ungebildet und meinetwegen Säufer sind. Nicht dass mich Modeblogs interessieren würden, aber ähnliche Chancen für ähnliche Träume, das könnte meine Stimmung erheblich aufhellen - selbst in einer Jogginghose am Jogginghosentag.
Dafür und für viele weitere Perlen der Weisheit muss man Jackie A. und ihren Debütroman einfach lieben! Also - gehet hin und lest ihn!
Apple zum Frühstück von Jackie A.
Gebunden, 236 Seiten
Blumenbar
Blumenbar
16,99 €
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